Aikido-Prinzipien - T'ai Chi Ch'uan (Yang-Stil) in Lübeck und klassisches Aikido

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Aikido-Prinzipien

Aikido > Aikido-Lehrbuch

5

Prinzipien des Aikido

 

Jeder Mensch ist stark, wenn er im rechten Augenblick und
am günstigen Ort das ergänzende Prinzip anwendet;
seine Gegner stürzen durch ihre eigene Kraft!

5.1

Irimi (Omote) und Tenkan (Ura)

 

Ursprung, Wesen und Ziel des Aikido wurden im Kapitel 2 dargestellt, so dass an dieser Stelle nach der einleitenden Zusammenfassung eine Konzentration auf die Bedeutung und Anwendung der Prinzipien im technischen Bereich möglich ist. Es sei nochmals betont, dass die Technik für den ernsthaften Aikidoka nicht Selbstzweck, sondern eine unabdingbare Voraussetzung zur Annäherung an das Ziel ist. Er muss folglich eine perfekte und intuitive Beherrschung aller praktischen Inhalte anstreben, um den Weg des Aiki überhaupt beschreiten zu können. Das Ziel liegt in der Erreichung einer vollkommenen inneren und äußeren Harmonie. Der Begriff »innere Harmonie« bezieht sich auf das Verhältnis zwischen Seele, Geist und Körper, während der Begriff »äußere Harmonie« die Beziehung des Individuums zu anderen Menschen und zur Umwelt (Natur, Kosmos) umfasst. Harmonie ist gegeben, wenn alle ursprünglich polaren Kräfte sich in einem natürlichen, ausgewogenen Zusammenspiel durchdringen und ergänzen.
Die im Aikido zur Unterscheidung der »Gegensätze« verwendeten Begriffe Irimi (Omote) und Tenkan (Ura) können zwar in vielfältiger Weise interpretiert werden, jedoch kommt ihnen im Zusammenhang mit der Technik eine vorwiegend praktische Bedeutung zu.
Irimi ist zunächst der sich auf aktives Handeln gründende innere Eingang. Die vom Angreifer ausgehende Kraft wird zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufgenommen, verstärkt und umgelenkt. Sie fließt dadurch zum Ausgangspunkt -Zentrum des Initiators – zurück, stört sein Gleichgewicht und bringt ihn zu Fall. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass Nage die gegen ihn gerichtete Kraft nach Umlenkung auf einer »anderen, der eigenen Linie« zurückführt. Uke wird folglich durch den unbekannten Ansatzpunkt ebenso überrascht wie durch ihre unerwartete Wirkung.
Nage tritt nach innen ein, bezieht also eine Position in Richtung auf den Angreifer. Im Zusammenhang mit diesem Prinzip wird daher auch der bildhafte Begriff Omote (- stehe – vor ihm) verwendet. Häufig sprechen die Lehrer kurz vom positiven (da aktiven) Prinzip, ohne damit jedoch eine Wertung ausdrücken zu wollen.
Irimi kann als Form des – unterstützenden – Gebens aber auch im Verlaufe einer Technik oder zu ihrem Abschluss (Wurf oder Neutralisation) angewendet werden. Irimi sollte in allen entscheidenden Phasen von der Atemkraft (Kokyu) begleitet sein. Dazu ist natürlich ein bewegungssynchrones Ausatmen notwendig.
Charakteristisch für Irimi ist das geradlinige Sabaki nach schräg vorne durch Fußgehen (Ayumi-ashi) oder Gleitschritte (Ashi-sabaki). Abweichungen sind jedoch möglich und üblich.
Die Anwendung des positiven Prinzips ist – insbesondere bei physisch starken oder bewaffneten Angreifern – nur dann erfolgreich, wenn Nage eine gute Stellung und ein ausgebildetes Zentrum besitzt. Er muss spontan sowie sicher reagieren und seine Atemkraft konzentriert einsetzen können.
Im geistigen Sinne ist Irimi der Ausdruck belehrender Strenge. Der Absicht des Partners wird der unverrückbare eigene Wille entgegengesetzt; die Entscheidung erfolgt auf kürzestem Wege.
Tenkan ist der aikidospezifische, ausweichende äußere »Eingang«. Er manifestiert sich in einer aufmerksamen Passivität und dient zur zielstrebigen Ergänzung einer überlegenen oder bereits entwickelten Kraft des Angreifers. Nage bewegt seine Mitte vor dem ersten bzw. nach flüchtigem Kontakt zunächst schräg nach außen und »rollt« ohne Schaden an der geradlinig wirkenden Kraft ab. Hat er seine Mitte mit dem Zentrum der wirkenden Kräfte zur Deckung gebracht, lenkt er letztere auf unterschiedlichen Ebenen spiralförmig um diesen bedeutenden Punkt im Raum. Der von Uke ausgehende Angriff verpufft wirkungslos oder wird durch Nage gleichsam absorbiert und in Bewegung umgesetzt. Durch diese überraschende – »passive« – Aktion entsteht ein Vakuum, das Uke förmlich aufsaugt und in die Kreisbewegung reißt. Dort ist sein Körper den aus der Drehung resultierenden Zentrifugal- und Zentripetalkräften ausgesetzt, die sein Gleichgewicht empfindlich stören (Kuzushi) und ihn zu Fall bringen. Nage kann den Impuls seines in Rotation befindlichen Körpers aber auch gegen Uke richten, indem er den Drehpunkt (seine Mitte) im Raum verlagert, was allerdings nur aus einer zentrierten und durch die Drehung stabilisierten Position möglich ist. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist bei diesem Verfahren auf natürliche Weise gegeben, denn die Stärke der Abwehr wird allein durch die Wucht des Angriffes bestimmt.
Auch im Verlaufe einer Technik oder in ihrer Endphase muss Nage den starken Druck des Angreifers manchmal ausweichend ergänzen, um seine Möglichkeiten besser nutzen oder seine Stellung stabilisieren zu können. Dies wird ebenfalls als Tenkan-Ausführung bezeichnet.
Die Umlenkung der ursprünglich geradlinig fließenden Kraft auf eine Kreisbahn wird durch Schritt- und Körperdrehungen (Tenkan-ashi und Tai-sabaki) erreicht. Die daraus entstehenden runden und weichen Bewegungen haben den ästhetischen Charakter des Aikido – sinnfälliger Ausdruck einer humanen Form der Selbstverteidigung – geprägt. Die Vertreter der »harten Wege« nutzen sie oft als falsches Argument, um die »Effektivität« des Aikido in Abrede zu stellen. Da Nage sich bei der Anwendung dieses Prinzips vorzugsweise auf der »äußeren Linie« bewegt, spricht man auch vom äußeren oder – wertneutral – kurz vom negativen (da passiven) Eingang. Nach Abschluss der ausweichenden Körperdrehungen steht Nage oft überraschend hinter Uke. Deshalb wird für das Prinzip Tenkan auch der bildhafte Begriff Ura (– stehe – hinter ihm) benutzt. Der Begründer des Aikido, O Sensei Morihei Ueshiba, verdeutlichte dieses Prinzip wie folgt: »Wenn der Gegner denkt, dass ich vor ihm stehe, erhebt er sein Schwert, um anzugreifen. Tatsächlich stehe ich aber hinter ihm!« Die Anwendung des negativen Prinzips erfordert spontane Anpassung – oft aus einer starken Position – ohne Selbstaufgabe. Wesentliche Voraussetzungen sind daher ein freier Geist und ein gelöster Körper.
Die beabsichtigte ergänzende Wirkung tritt nur ein, wenn Nage sich unverzüglich und vollkommen in das Zentrum der wirkenden Kräfte begibt. Will Nage die Lage des Drehpunktes im Raum hingegen willkürlich selbst festlegen, verletzt er das Gesetz der Harmonie und sieht sich ebenso wie Uke den störenden physikalischen Kräften ausgesetzt – er verliert seine Mitte. Die Natur macht unter gleichen Voraussetzungen eben keinen Unterschied zwischen »Guten« und »Bösen«.
Im geistigen Sinne ist Tenkan das Prinzip der nachsichtigen Milde; ein »Spiel« mit dem aggressiven Partner, das über die wiederholte Belehrung zur besseren Erkenntnis und damit zum Gesinnungswandel führen soll. Es ist somit das der friedlichen menschlichen Vernunft angemessene Prinzip.
Nage darf weder seinen Standpunkt aufgeben noch das Ziel aus den Augen verlieren. Er muss also auch hier einen starken Willen und ein ausgeprägtes Zentrum besitzen.
Häufig kann man feststellen, dass die Ausübenden dem Studium eines Prinzips verstärkte Aufmerksamkeit widmen, weil es ihrer Persönlichkeit besonders entspricht. Dies ist jedoch ein verhängnisvoller Fehler, denn ein Aikidoka, der sich auf eine Richtung festlegt, ist in seinen Reaktionen nicht mehr frei und keiner Ergänzung fähig.
Der Erfolg wird auch gefährdet oder verhindert, wenn Nage die Prinzipien miteinander vermischt oder inkonsequent anwendet. Man kann nicht gleichzeitig in zwei entgegengesetzte Richtungen gehen!
Unabhängig vom angewandten Prinzip entspricht es dem Wesen des Aikido, dass der Verteidiger alle verfügbaren geistigen Energien und körperlichen Mittel koordiniert und konzentriert auf die Erreichung des Zieles - Abwehr des aktuellen Angriffes – richtet.
Weitere Hinweise zu diesem wichtigen Komplex können dem Abschnitt 6.1 (Grundtechniken) entnommen werden.

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5.2

Katate-tori Kokyu-ho (Irimi)

 


Unter dem Begriff Kokyu-ho (Irimi) versteht man eine Vorübung zum Erlernen des inneren (positiven) Einganges (Irimi) sowie zur Stärkung der für die Ausführung erforderlichen Atemkraft.
Die Partner stehen sich in umgekehrter Stellung (gyaku-hanmi) gegenüber. Uke führt einen Gleitschritt (Tsugi-ashi) aus und ergreift bei starker eigener Stellung Nages rechtes Handgelenk (Katate-tori). Nage vollzieht mit der Schwerthand (Tegatana) eine schraubende Bewegung und führt mit dem hinteren Bein bei tiefem Zentrum einen Übersetzschritt aus (Abb. 83, 84).
Es ist zu erkennen, dass Ukes Kraft schon in dieser Bewegungsphase von der gewählten Wirkungslinie abgelenkt wurde. Nage hat die für diesen Angriff ideale Distanz (Ma-ai) bereits überwunden, ist also auf der ursprünglichen – jetzt freien – Wirkungslinie schräg nach innen eingetreten.
Im Verlauf der weiteren Ausführung lässt Nage sein kontrolliertes Zentrum förmlich in Ukes geöffnete Stellung fallen, wobei die schraubende Bewegung der Schwerthand (Tegatana) fortgesetzt wird (Abb. 85, 86).
In der Endphase hat Uke sein Gleichgewicht verloren; Nages Atemkraft fließt über die gestreckte Schwerthand und Ukes Mitte in den Raum (Abb. 87). Während der gesamten Bewegung muss der Verteidiger lang gezogen und betont ausatmen.
Die Übung ist im ständigen Wechsel rechts- und linksseitig bis zur Gleichgewichtsbrechung (Kuzushi) auszuführen. Nach einer Serie von 10 bis 20 Eingängen sollte ein Partnerwechsel vorgenommen werden. Auf die Ausführung des Abwurfes kann verzichtet werden!


Zu 5.2

Angriff:
Katate-tori

Vorübung:
Kokyu-ho


Prinzip:
Irimi


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Bilder 83-87

5.3

Katate-tori Kokyu-ho (Tenkan)

 

Die allgemeinen Ausführungen in Abschnitt 5.2 gelten auch für die Vorübung zum Erlernen des äußeren (negativen) Einganges (Tenkan oder Ura). Der Schwerpunkt liegt hier jedoch in der Schulung des Gefühls für den rechten Augenblick und die gelöste – »passive« – Bewegung (Tenkan-ashi) bei guter Distanz (Ma-ai). Die Partner stehen sich in gleichseitiger Stellung (ai-hanmi) gegenüber. Uke macht einen Schritt nach vorn (Ayumi-ashi) und erfasst Nages rechtes Handgelenk mit einer schiebenden Bewegung. Unmittelbar nach der – noch flüchtigen – Ausführung des Angriffes leitet Nage die Ausweichbewegung ein (Abb. 88, 89). Er beugt die erfasste Hand ab, führt sie in Übereinstimmung mit Ukes Bewegung in Richtung auf die eigene Hüfte und dreht sich auf dem Fußballen des rechten – vorderen – Beines nach außen (Abb. 90)
Nage atmet während der Drehbewegung ein (siehe Abschnitt 4.6.2) und steht nach ihrem Abschluss außen neben dem Angreifer (Abb. 91).
In der Endstellung (Migi-kamae) lässt Nage seine Atemkraft über die Schwerthand (Tegatana) in den Raum fließen, wobei Ukes Gleichgewicht noch weiter gestört wird (Abb. 92).
Von besonderer Bedeutung ist bei dieser Übung, dass Nage sich um den Ansatzpunkt der wirkenden Kraft (Handgelenk!) herumdreht und am Arm des Angreifers abrollt. Das erfasste Handgelenk und der Fußballen des vorderen Beines sollen im Verlauf der Drehung eine lotrechte Achse bilden.
Im fortgeschrittenen Stadium kann Uke die Stärke und Richtung seines Angriffs ohne vorherige Ankündigung variieren, so dass Nage zur spontanen Anwendung des entsprechenden Einganges (ergänzenden Prinzips) gezwungen ist.


Zu 5.3

Angriff:
Katate-tori

Vorübung:
Kokyu-ho

Prinzip:
Tenkan


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Bilder 88-92

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