Kata-Unterricht - T'ai Chi Ch'uan (Yang-Stil) in Lübeck und klassisches Aikido

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Kata-Unterricht

Aikido > Lehrbriefe für Aikido

Die Methodik des Kata-Unterrichts im Aikido
von Rolf Brand, 8. Dan Aikido




Wer die Formen nicht achtet,
wird nicht vollendet werden!

Konfuzius

Bild:
Constanze Sprengel, 3. Dan Aikido, und Rolf Brand, 8. Dan Aikido,
zeigen Ma-ai (harmonische Distanz)  in Ai-hanmi (gleichseitiger Stellng)


1

Einordnung und Begriffsbestimmung

1.1

Die drei Säulen des Aikido
Kata ist eine der „drei tragenden Säulen" des Aikido, die wie folgt kurz charakterisiert werden können:
Grundtechniken:
Übungen zum Erlernen der Elemente und Prinzipien sowie zur Transformation der geistigen und erzieherischen Inhalte des Aikido.
Kata:
Formen der Rückbesinnung auf wesentliche Aspekte des klassischen Aikido sowie zur Vertiefung seiner Elemente und Prinzipien
Randori:
Prüfung der Verinnerlichung aller Elemente, Techniken und Prinzipien des Aikido sowie ihrer intuitiven Anwendung „im Augenblick"

1.2

Kata ist Form!
Viele Menschen glauben, das Leben würde durch Formen erstarren. In Wirklichkeit wird es durch sie erst möglich.
Daher ist Kata (Form) auch im Aikido notwendig, denn sie erhebt die handwerkliche Kunst (Jitsu) zum Weg (Do)!
Unter Aiki-no-Kata versteht man eine festgelegte Folge von Elementen, Techniken und Prinzipien des Aikido. Sie werden in der vorgegebenen Form praktiziert, wobei sich die Ausübenden unabhängig von ihrer Rolle (Nage oder Uke) gemeinsam um die Erreichung des Zieles bemühen.
Ziel der Kata ist es, den geistigen und philosophischen Inhalten des Aikido sichtbaren Ausdruck zu geben, die Entwicklung der Ausübenden durch psycho-somatische Erziehung im Sinne des Do (Weges) zu fördern und die vorgeschriebenen Übungsteile des Aikido in der vom Begründer, O Sensei Morihei Ueshiba, festgelegten und damit klassischen Form zu bewahren und zu vertiefen.

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2

Bedeutung der Kata

 

Nimmt man den Begriff Do (Weg) wörtlich, so darf gefolgert werden, dass sich die Ausübenden auf einer Wanderschaft befinden, wie dies früher bei den Gesellen vieler Zünfte üblich war, nachdem sie ihre grundlegenden handwerklichen Fertigkeiten unter Anleitung eines Meisters erlernt und in einer Prüfung nachgewiesen hatten. Ziel dieser Wanderjahre war es, sich unter Beachtung strenger Regeln in wechselnden Situationen und Lebensbereichen im Gebrauch der Werkzeuge zu vervollkommnen, damit aus den handwerklichen Fertigkeiten eine meisterliche Kunst erwuchs. Die war dann auch sichtbarer Ausdruck der inneren Einstellung und Persönlichkeit des Ausführenden.
In der Tat ist dieser Vergleich zulässig, denn auch im Aikido erlernt der Schüler unter Anleitung seines Meisters zunächst die Elemente und Techniken. Auf seinem Weg muss er sich dann bemühen, durch die ständige Wiederholung der Techniken und das Studium ihrer Anwendungen immer tiefer in die Geheimnisse des Aikido einzudringen, um seine Prinzipien zu entschlüsseln. So übt er sich beispielsweise im Erkennen des rechten Augenblicks, in der Ergänzung des Angreifers unter Wahrung der harmonischen Distanz und in der Anpassung an natürliche Gesetzmäßigkeiten.
Aikido ist keine abstrakte Idee, sondern gelebte Praxis. Maßstab für den persönlichen Fortschritt bzw. die Reife des Ausübenden im Sinne dieses Weges sind die technischen Prüfungen, aber auch sein Charakter und das Verhalten innerhalb und außerhalb der Trainingsgemeinschaft. Die Inhalte bzw. Anforderungen der Kyu- und Dan-Grade werden von der Technischen Kommission des Verbandes bzw. der Stilrichtung festgelegt. Dieses Organ besteht in der Regel aus den ranghöchsten Meistern des Verbandes.
Nur ein entspannter und zentrierter Körper, der von einem freien Geist gesteuert wird, kann ohne Verzögerungen auf die von einem fremden Willen ausgehenden und daher unvorhersehbaren Angriffe reagieren.
Anerkennt man die Einheit von Geist, Seele und Körper des Menschen, so ist es einleuchtend, dass sie sich wechselseitig beeinflussen. Die durch das intensive Training erreichte Verinnerlichung der natürlichen und harmonischen Techniken des Aikido fördert daher immer auch eine positive ganzheitliche Entwicklung des Ausübenden. Auf der anderen Seite kann ein geistig-seelisch verspannter Mensch niemals ein gelöstes und damit effektives Aikido ausführen.
Das erste Ziel aller Bemühungen ist die „innere Harmonie" und wird als Ki-Shin-Tai - Einheit von Geist, Seele (Herz) und Körper - bezeichnet. Sie sollte im Übergang von den Vorbereitungsgraden (Kyu) auf die Budograde (Dan) zumindest im Ansatz erkennbar sein.
Nun verläuft die Entwicklung vom Handwerk zur Kunst nicht immer geradlinig und ohne Störungen, weil insbesondere höhergraduierte Aikidoka nur selten ständig unter Anleitung eines Meisters arbeiten können, der den rechten Weg aufzeigt und Abweichungen sofort korrigiert.
Es ist daher nicht nur menschlich, sondern auch verständlich, dass gerade bei kreativen Aikidoka auch subjektive Erfahrungen und Vorstellungen in die Technik einfließen. Dies kann für die Entwicklung des Aikido als einer lebendigen Kunst durchaus nützlich sein, führt manchmal aber auch zur Veränderung der fundamentalen Elemente, Techniken und Prinzipien dieses Weges. Das von O Sensei Morihei Ueshiba geschaffene Aikido könnte dadurch seine Identität verlieren, was sehr bedauerlich wäre.
Auf seiner Suche nach Wahrheit und Erkenntnis benötigt der Mensch also Orientierungspunkte, die auf Dauer gültig und unverrückbar sind. Alle Kata des Aikido erfüllen diese Forderung, wenn sie über Generationen hinweg unverändert praktiziert und richtig bewertet werden. Sie sind also Formen der Rückbesinnung, die es dem Ausübenden in jeder Phase seiner Entwicklung gestatten, den eigenen Standort zu bestimmen, die Richtigkeit seiner Bemühungen zu überprüfen und ggf. eine Neuorientierung vorzunehmen. Letztere wird auch eine Rückkehr zum wahren Weg bewirken, wenn der Aikidoka sein Ego diszipliniert hat und die Freiheit der Entscheidung besitzt.
Dem Ideal (Satori) kann sich ein Ausübender jedoch nur dann nähern, wenn er sich mit ehrlichem Herzen, in der rechten Gesinnung sowie unter Aufwendung seiner ganzen Energie (Ki) um die Verwirklichung und Transformation der wertvollen Inhalte und hohen Ideale des Aikido bemüht. Dem Studium der Formen (Kata) des Aikido kommt dabei eine besondere Bedeutung zu!

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3

Grundsätze und Schwerpunkte

3.1

Sieg durch Frieden
Alle Elemente und Techniken der Kata müssen das fundamentale Prinzip der Gewaltlosigkeit des Aikido und seinen friedlichen Geist deutlich machen. Sich im und mit Aikido verteidigen bedeutet immer, den Angreifer - zur höheren Einsicht - führen. Es muss daher erkennbar sein, dass die Abwehr dem natürlichen Fluss der Bewegungen folgt und den Partner nicht verletzen will.
Harte und unphysiologische Verteidigungstechniken stören nicht nur den harmonischen Ablauf der Bewegungen, sondern wecken auch Emotionen und Aggressionen, führen also zur Eskalation der Gewalt. Sie widersprechen dem Ziel des Aikido - Umlenkung oder Neutralisation negativer Energie - und verstoßen gegen die moralischen Prinzipien dieses Weges - Sieg der Liebe und Menschlichkeit über Aggression und Gewalt.

3.2

Harmonie durch Kooperation
Von besonderer Bedeutung ist die Feststellung, dass Nage (Werfender) und Uke (Fallender) nicht gegeneinander, sondern gemeinsam an der Aufgabenerfüllung arbeiten.
Sie müssen ihr Ego dem gemeinsamen Ziel unterordnen, denn nur unter dieser Voraussetzung kann die Einheit von Angriff und Verteidigung bzw. die Aufhebung der Gegensätze sichtbar gemacht werden. Jeder Ausführende wird gleichsam ein Teil seines Partners, den er in jeder Bewegungsphase ergänzt. Eine schwierige und gerade von ichbezogenen Menschen nicht leicht zu bewältigende, aber für sie sehr wertvolle, da prägende Übung!
Die beim Studium und bei der Demonstration der Kata geforderte selbstlose Hingabe führt nicht zur Aufgabe, sondern zur Stärkung der eigenen Identität und Persönlichkeit.

3.3

Sinn und Form
Jede Technik der Kata hat einen konkreten Sinn, nämlich die Abwehr konsequent vorgetragener Angriffe durch die auf den Elementen und Prinzipien des Aikido basierenden effektiven Techniken. Es ist besonders darauf zu achten, dass diese grundsätzliche und bedeutende Tatsache nicht einem übertriebenen Formalismus geopfert wird.

3.4

Innere Einstellung und Bereitschaft
Es ist von großer Bedeutung für den Fortschritt des Verteidigers (Nage), dass er bei jedem Angriff die Grenzsituation erkennt und akzeptiert, in der er sich im Ernstfall befinden würde. Diese innere Einstellung ist eine Grundvoraussetzung für die mit dem körperlichen Vollzug der Techniken verbundene geistig-seelische Schulung und Reifung. Sie ermöglicht auch in der realen Selbstverteidigungssituation einen freien Geist und gelösten Körper als Bedingung für ein spontanes, zweckmäßiges Reagieren im rechten Augenblick.
Wird dieser Grundsatz missachtet, kann sich ein Erfolg im Sinne der Zielsetzung nicht einstellen. Eine ohne innere (geistig-seelische) Anteilnahme „abgespulte" Kata verliert ihre Ausstrahlung und Spannung auch dann, wenn sie technisch ohne Fehler ist. Sie kann den in einer Dan-Prüfung gestellten Anforderungen grundsätzlich nicht genügen.

3.5

Körperliche Erziehung
Es sollte nicht übersehen werden, dass jede Kata auch eine hervorragende gymnastische Pflichtübung ist, die den gesamten Körper in aikidospezifischer Weise trainiert und zum persönlichen Wohlbefinden beiträgt. Alle Bewegungen werden zwar kontrolliert, aber bis zum Erreichen der Belastungs- bzw. Schmerzgrenze ausgeführt. Die Wirbelsäule und alle Gelenke bleiben extrem beweglich; die bei Ausübung des Aikido benötigten Muskeln bilden sich im erforderlichen Umfang und werden geschmeidig.
Da ein einfühlsamer Nage das Maß der aufgewendeten Kraft, ihren Ansatzpunkt und den Rhythmus variieren kann, lässt sich Kata auch bei leichten Verletzungen oder zur Wiederherstellung der inneren Stabilität und körperlichen Fitness bei Krankheiten bzw. nach Unfällen praktizieren.

3.6

Geistiges Training
Voraussetzung für die Vervollkommnung der Kata ist die Bereitschaft der Übenden, sich intensiv auch geistig mit ihren Inhalten und Bewegungsabläufen zu befassen, ohne sie gleichzeitig praktisch auszuführen. Durch diese Form des "mentalen Trainings" dringen die Inhalte der Kata schneller in das Unterbewusstsein ein. Der Ausführende kann so das im Dojo stattfindende körperliche Training der Kata optimieren; er arbeitet früher aus und mit dem Hara (Körperzentrum).
Die Durchführung eines wirksamen geistigen Trainings ist jedoch nur möglich, wenn der Übende die Bewegungsabläufe der Kata sicher beherrscht sowie Vorstellungskraft und Konzentrationsvermögen besitzt.
Fortgeschrittene Aikidoka können durch das mentale Training auch längere Zwangspausen (Verletzungen, Krankheiten) ohne wesentliche Einschränkungen ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten überbrücken.
Die Augen sind für gesunde Menschen wohl das wichtigste und daher am stärksten genutzte Sinnesorgan. Wir verlassen uns aus Erfahrung oft vorbehaltlos auf "die Sicht der Dinge", was mit Vorteilen verbunden ist, aber zur Degeneration der weniger genutzten (untrainierten) Sinnesorgane führen kann. Es ist daher eine sehr lehrreiche und förderliche Übung, die Kata - allein oder mit dem Partner - mehrmals in einem dunklen Dojo zu üben. Die dabei gesammelten Eindrücke und Erfahrungen sind vielfältig; sie erstrecken sich gleichermaßen auf die körperlichen sowie die geistig-seelischen Bereiche.

3.7

Rhythmus und Atmung
Der Rhythmus einer Kata muss dem natürlichen Ablauf der Angriffs- und Verteidigungssituation angepasst sein und sollte möglichst mit der Atmung übereinstimmen. Wenn sich in der Kata vorübergehend Probleme mit der Atmung einstellen, hat die Technik den Vorrang. Die Atmung soll die Technik zwar sanft begleiten, darf sie aber nicht beherrschen oder bezwingen wollen. Konzentriert sich der Ausübende übertrieben auf die Atmung, steigt die Energie (Ki) aus dem Zentrum (Hara) nach oben in den Kopf, was zu Gleichgewichtsstörungen führen kann.
Eine unangemessene Steigerung der Schnelligkeit führt zur Zusammenfassung bzw. Überlagerung einzelner Bewegungselemente; die Kata wird dadurch unsauber und verzerrt.
Eine zu langsam ausgeführte Kata wirkt ermüdend auf die Zuschauer. Sie verliert an Spannung und damit an Ausdruck und Glaubwürdigkeit.

3.8

Fachgerechte Ausführung
Soweit Angriffs- und Verteidigungstechniken aus anderen Budo-Sportarten angewendet werden, muss man sich um eine fachgerechte und effektive Ausführung bemühen. Im anderen Fall können sich Ansatzpunkte für eine berechtigte Kritik - zumindest der "Spezialisten" - bzw. Zweifel an der Tauglichkeit des Aikido als System der Selbstverteidigung ergeben.

3.9

Forderungen an Übungswaffen
Kommen Verteidigungstechniken gegen bewaffnete Angreifer in der Kata vor, sollten beim Training und bei der Vorführung nur Übungswaffen eingesetzt werden, um Verletzungen auszuschließen. Zur Erzielung der unbedingt notwendigen Griffsicherheit ist es jedoch notwendig, dass diese nach Abmessungen, Form und Gewicht den "scharfen" Waffen entsprechen. Auf die unter Ziffer 3.4 gemachten Ausführungen wird in diesem Zusammenhang besonders hingewiesen.

3.10

Sabaki (Bewegung)
Die Bewegungen sind nicht nur Ausdruck der Freiheit des Übenden, sondern verkörpern das Aikido schlechthin. Das Ki des Angreifers kann nur wirken, wenn es in eine Technik umgesetzt und gegen den Verteidiger gerichtet wird. Letzterer kann die Neutralisation oder Umlenkung dieser verhängnisvollen Kraft im körperlichen Bereich nur vornehmen, wenn er seinerseits bewegungsfähig ist. Beweglich sein bedeutet, dass man seinen Standort (körperlich) und seinen Standpunkt (geistig) spontan verändern kann, wenn die jeweilige Situation dies erfordert.
Die Bewegungen des Körpers sind aber auch ein Ausdrucksmittel, das bestimmte geistige Zustände verdeutlichen kann. Sie sollen aus der Mitte (dem Hara) erfolgen und die geistig-seelische sowie körperliche Präsenz erkennen lassen.
Die Erhaltung des statischen und dynamischen Gleichgewichtes ist in hohem Maße von der korrekten Bewegung abhängig. Nur wenn sich der Ausübende in jeder Phase der Kata in der "rechten Mitte" befindet, stehen ihm seine inneren Energien und äußeren Kräfte zur Verfügung. Jede Kata muss daher ausdauernd geübt werden, damit sie durch uns und in uns wirkt.

3.11

Ma-ai (Distanz)
Bei Ausführung aller Techniken des Aikido und insbesondere in der Kata ist die Distanz (Ma-ai) zwischen Nage und Uke besonders wichtig. Kommt es doch immer darauf an, dass sich der Strom der geistig-seelischen Kraft (Kokyu) beider Partner im rechten Augenblick und am günstigen Ort miteinander verbindet. Nicht selten hängt die Durchführbarkeit und fast immer die Effektivität der Aikido-Techniken vom Vorhandensein einer korrekten Distanz (Ma-ai) ab.

3.12

Tegatana (Schwerthand)
Dem wirksamen Einsatz der Schwerthand (Tegatana) kommt in jeder Kata große Bedeutung zu. Insbesondere müssen die Finger sanft gestreckt sein, da sie nicht nur den Fluss und die Richtung der Energie sichtbar machen, sondern auch von erfolgsbestimmender praktischer Bedeutung sind. Die vertikale Bewegung der Schwerthand erfolgt in der Regel aus dem entspannten und abgesenkten Schultergelenk, während sich die horizontale Bewegung fast immer aus den Körperdrehungen (Tai-sabaki) ergibt. Erst durch die Koordination dieser beiden Grundformen entstehen die wirksamen "großen" Spiralbewegungen der Schwerthand.
Zur Führung des Angreifers sowie zur Umlenkung und Übertragung von Energie sind daneben aber auch die "kleinen" Spiralbewegungen der Tegatana wichtig. Diese um die Längsachse der Schwerthand ausgeführten Drehbewegungen werden mit den großen Spiralbewegungen kombiniert und ermöglichen eine konzentrierte Übertragung der Energie.

3.13

Ki-ai
Wird in der Kata ein Ki-ai eingesetzt, soll dieser die Einheit von Geist, Seele (Herz) und Körper ausdrücken. Die Erfüllung dieser Forderung setzt voraus, dass der Ki-ai im Höhepunkt der Technik bei optimaler Entfaltung des Ki und geistiger Konzentration auf den Angreifer ausgestoßen wird.
Der Ki-ai ist somit Ausdruck des aktiven und koordinierten Einsatzes der geistigen und körperlichen Energie zur Erreichung des Zieles. Im Aiki sollen die mentalen (geistigen) Kräfte hingegen ruhen, um den Zustand des Mushin (Nicht-Bewusstseins) zu erreichen.
Die Erforschung und Anwendung des Ki-ai sollte den Meistern des Ai-ki ein besonderes Anliegen sein.

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4

Das Kata-Training

4.1

Allgemeine Hinweise
Mit schlechten Steinen kann man kein gutes Haus bauen! Diese Feststellung gilt auch und gerade für das Training der Aiki-no-Kata.
Daher ist es unbedingt notwendig, die in der Kata enthaltenen Elemente und Techniken intensiv und ausdauernd über längere Zeit, aber in freier Form zu üben. Ein Lehrer, der fortgeschrittene Aikidoka trainiert, sollte diese Vorbereitung zum festen Bestandteil seiner Unterrichtsstunden machen.
Erst wenn die "Bausteine" von Nage und Uke sicher beherrscht werden, kann man sie unter Beachtung der in diesem Lehrbrief aufgezeigten Grundsätze und Schwerpunkte in die vorgeschriebene Form bringen.
Es ist zweckmäßig, diese Aufgabe stufenweise zu vollziehen. Zunächst werden einzelne Techniken miteinander verbunden, so dass Teile bzw. Gruppen der Kata entstehen.
Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass im Verlaufe der allgemeinen Trainingsstunden viele Aikidoka in die Kata eingeführt werden können.
Alle beteiligten Schüler erlernen so die mit einem Kata-Training verbundene starke Konzentration und ausdauernde Zuwendung, ohne überfordert zu werden.
Die Zusammenfassung der einzelnen Teile oder Gruppen zur "Grobform" kann unter Anleitung des Lehrers zwar im größeren Kreis erfolgen, jedoch sollten dazu besondere Trainingsstunden eingerichtet werden, weil dieser Unterricht sehr zeitaufwendig ist. Als "Grobform" bezeichnet man das Üben aller Techniken der Kata in der richtigen Reihenfolge und mit den vorgeschriebenen Verbindungen, jedoch unter Vernachlässigung kleinerer Ausführungs- bzw. Haltungsfehler.
Die Hinweise und Korrekturen des Lehrers müssen sich dabei auf das unumgänglich notwendige Maß beschränken und sollen dem Aufnahmevermögen der Schüler entsprechen. Im anderen Falle tritt eine Überforderung ein, das motivierende Erfolgserlebnis bleibt aus und der Schüler verliert über lange Zeit die Freude am Kata-Training.
Die Erarbeitung der "Feinform" ist nur im Einzelunterricht möglich. Dies bedeutet, dass jedem Paar ständig ein Lehrer zur Verfügung stehen sollte, der jeden festgestellten Mangel sofort anspricht, während die Ausübenden ohne Unterbrechung in ihrem Vortrag fortfahren. Dies ist in diesem Stadium möglich, weil die Bewegungsabläufe der Kata bereits fester Bestandteil des Unterbewusstseins geworden sind und auch unter äußerer Beeinflussung (Ablenkung) noch sicher vorgetragen werden können.
Am Schluss jeder Kata erfolgt eine zusammenfassende Besprechung und - soweit Fehler ständig wiederkehren - das Üben einzelner Elemente, Techniken oder Gruppen.
Die Demonstration der Kata vor der Trainingsgruppe erhöht die "innere Stabilität" und damit die Sicherheit. Die Vorführung der Kata bei einer Dan-Prüfung ist in der Regel der Höhepunkt des intensiven Trainings und eine wichtige Bewährungsprobe.
Da Wertvolles nur mit Mühe erworben wird, sollte man es auch bewahren! Jeder fortgeschrittene Aikidoka muss daher bestrebt sein, die erlernten Kata durch ständiges Üben zu verbessern. So dringt er immer tiefer in ihre Geheimnisse ein und kann die dabei erworbenen neuen Erkenntnisse für die eigene Entwicklung nutzen. Dies ist nach der Prüfungsordnung für Aikido-Dan-Grade des Aikido-Verband Deutschland e.V. auch vorgeschrieben, denn die Kata können bei der Prüfung zu höheren Graden im Fach „Überprüfung" erneut gefordert werden und sollten dann dem „gesteigerten Niveau" entsprechen.
Eine Kontrolle durch den Lehrer ist auch in dieser Phase des vertiefenden Studiums der Kata zweckmäßig.
Bei Beachtung aller Hinweise und Forderungen kann sich das Kata-Training zu einer dynamischen Meditation entwickeln. Durch die ständige Wiederholung dringt der Ausübende tief in das Wesen des Aikido ein, wobei Geist und Körper gleichermaßen entspannt werden. Er geht selbstlos im Tun auf und vergisst die Belastungen des Alltags. Kata ist für den stressgeplagten Menschen unserer Zeit daher eine besonders wertvolle Gesundheitsübung mit meditativem Charakter.

4.2

Besondere Hinweise
Der eingesetzte und zur Korrektur der Ausübenden verpflichtete Lehrer muss die zu vermittelnde Kata selbst sicher beherrschen. Beim Training sollte sich der Lehrer so placieren, dass er Einzelheiten erkennen und den Gesamteindruck beurteilen kann. Falls erforderlich, muss er seinen Standort wechseln.
Die Kata soll als Ganzes wirken. Es ist daher falsch, einzelne Elemente, Techniken, Bewegungen oder Formen besonders hervorzuheben oder zu überzeichnen, da dies den Gesamteindruck stören würde.
Enthält die Kata jedoch schwierige Techniken oder treten häufig die gleichen Fehler auf, ist eine Abstellung durch spezielles Training der "Schwachstellen" notwendig.

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5

Beschreibung und Inhalte der Kata

5.1

Allgemeines
Es ist an dieser Stelle nicht möglich, alle Techniken und Bewegungsabläufe der im Zuständigkeitsbereich des Aikido-Verband Deutschland e.V. praktizierten Kata zu beschreiben. Die sichere Beherrschung des zu vermittelnden Stoffes muss bei einem Übungsleiter vorausgesetzt werden, soweit er Bestandteil des Prüfungsprogramms seines Grades ist.
In jedem Fall sollte man bei der Unterrichtung von den gesicherten eigenen Kenntnissen und Fertigkeiten ausgehen und die Vermittlung solcher Lehr- und Übungsteile ablehnen, die noch nicht zum Erfahrungsschatz gehören oder körperlich nicht vollzogen werden können. Unglaubwürdigkeit führt zum Verlust der Autorität und kann eine langfristige, solide Arbeit zunichte machen.
Die reale Einschätzung der immer begrenzten eigenen Möglichkeiten schließt das Wissen um die Endlosigkeit des Weges (Do) ein. Sie führt zur Bescheidenheit und Zufriedenheit, ist Voraussetzung für die Bereitschaft zum ständigen Forschen und ermöglicht eine neidlose Anerkennung der Leistungen anderer Meister, die auf dem Weg (Do) schon weiter vorangeschritten sind. Dies sind meisterliche Tugenden!

5.2

Form der Katame-Waza und ihrer Prinzipien im Stand

5.2.1

Inhalt der Kata

 

5.2.2

Beschreibung und Hinweise
Die Kata enthält alle Haltetechniken am Boden (Katame-Waza) in der ursprünglichen Reihenfolge. Bei ihrer im Jahr 1973 erfolgten Einführung umfasste die Kata (der Festhaltetechniken) auch den Shiho-Nage und den Kote-Gaeshi, weil sie die Fixierung des Angreifers am Boden erlaubten. Die beiden Techniken wurden im Jahr 1989 jedoch gestrichen, da sie Bestandteil der 3. Form werden sollten. Dies wurde jedoch erst im Jahre 2005 realisiert (siehe 3. Form).
Die Angriffe erfolgen beidseitig im Stand und ohne Waffen. Alle Techniken werden nacheinander in den Prinzipien Irimi und Tenkan vorgeführt. Die Kata wird auf einer Linie mit Öffnung zum Joseki (Ehrenplatz / Prüfertisch) ausgeführt und mit einem Gruß beider Partner im Stand (Ritsu-rei) zum Joseki eröffnet. Anschließend begeben sie sich mit kurzen Übersetzschritten (Ayumi-ashi) in die Ausgangsposition, verbeugen sich zueinander und nehmen die Grundstellung (Ai-hanmi) ein.
Der schräge Schlag (Yokomen-uchi) in der 5. Stufe (Ude-nobashi) wird als imaginärer Messerangriff mit geschlossener Faust ausgeführt. Die in drei Varianten vorgeschriebene Öffnung der "Waffenhand" wird beidseitig nur in der positiven Ausführung demonstriert.
Nach Beendigung ihres Vortrages verbeugen sich beide Partner zueinander, begeben sich dann mit kurzen Übersetzschritten (Ayumi-ashi) wieder zum Anfangspunkt und grüßen abschließend gemeinsam zum Joseki.

5.2.3

Bedeutung der Kata
Durch die Pflege dieser Kata sollen wesentliche technische Inhalte des Aikido in ihrer klassischen Form bewahrt und in das Bewusstsein der Ausübenden zurückgerufen werden, um sie im anschließenden Training auf einer höheren Erkenntnisstufe wieder zu verinnerlichen.
Die Kata hat aber auch einen großen erzieherischen Wert, denn sie enthält bedeutende Ausbildungsschwerpunkte. Insbesondere werden die Körperhaltung, das Sabaki, der Einsatz des Hara, das Gefühl für die Distanz (Ma-ai) und den rechten Zeitpunkt sowie die klare Trennung der Prinzipien (Irimi und Tenkan) positiv gefördert. Sie sind wichtige Bausteine für die Gesamtentwicklung der Aikidoka. Die meisterlich vorgetragene „Form der Katame-Waza und ihrer Prinzipien im Stand" hat aber  auch einen hohen Aussagewert. Fachleute und Laien sind gleichermaßen beeindruckt durch die einfachen und natürlichen Techniken sowie die klare Trennung der Prinzipien. Die humane aber effektive Abwehr der Schläge und die abschließende Neutralisation des Angreifers machen wesentliche Elemente und geistige Inhalte des Aikido deutlich.
Diese Kata sollte von allen Aikidoka ab 2. Kyu eifrig geübt werden!

5.3

Form der Katame-Waza und ihrer Prinzipien im Kniesitz

5.3.1

Inhalt der Kata
Der Inhalt dieser Kata stimmt mit der "Form der Katame-Waza und ihrer Prinzipien im Stand" überein. Es wird daher auf die entsprechende Tabelle (siehe Ziffer 5.2.1) verwiesen.

5.3.2

Beschreibung und Hinweise
Alle Bewegungen werden im Kniesitz (Za-ho) von Nage und Uke auf einer Linie mit Öffnung zum Joseki (Ehrenplatz / Prüfertisch) abwechselnd in beiden Prinzipien Irimi und Tenkan ausgeführt. Die Angriffe erfolgen beidseitig und ohne Waffen.
Die Kata wird mit einem Gruß beider Partner im Stand (Ritsu-rei) zum Joseki eröffnet. Anschließend begeben sie sich mit kurzen Übersetzschritten (Ayumi-ashi) in die Ausgangsposition und dann in den Kniesitz; sie verbeugen sich zueinander und nehmen die Ausgangsposition ein.
Nage leitet die erste Abwehrtechnik (Ude-osae) in positiver Ausführung (Irimi) mit einem angedeuteten Stoß mit dem linken Fußballen (Mae-geri) zur Körpermitte (chudan) ein.
Der schräge Schlag (Yokomen-uchi) in der 5. Stufe (Ude-nobashi) wird als imaginärer Messerangriff mit geschlossener Faust ausgeführt. Die in drei Varianten vorgeschriebene Öffnung der "Waffenhand" wird beidseitig nur in der positiven Ausführung demonstriert.
Nach Beendigung ihres Vortrages verbeugen sich beide Partner im Kniesitz zueinander, erheben sich und begeben sich dann mit kurzen Übersetzschritten (Ayumi-ashi) wieder zum Anfangspunkt. Dort grüßen sie abschließend gemeinsam zum Joseki.

5.3.3

Bedeutung der Kata
Für die „Form der Katame-Waza und ihrer Prinzipien im Kniesitz" gelten die unter Ziffer 5.2. getroffenen Feststellungen uneingeschränkt. Die in dieser Kata enthaltenen Bodentechniken (Katame-Waza) und Angriffe lassen sich nur dann in geschmeidiger Form praktizieren, wenn Nage und Uke im Kniegehen (Shikko) geübt sind. Diese Art der Bewegung ist für Europäer zwar ungewohnt und schwierig, jedoch von großem Nutzen, da sie die Beweglichkeit des Hüftgelenks verbessert und damit den Einsatz des Körperzentrums (Hara) fördert.
Da Nage und Uke keine Möglichkeit der Improvisation haben, führt jeder Fehler - insbesondere der Distanz (Ma-ai) - unweigerlich zum Verlust des Gleichgewichtes und wird sofort sichtbar. Die Ausführenden müssen sich beim Studium dieser Kata daher um jedes Detail bemühen und erkennen, dass der Fortschritt in der Pflege des Einfachen begründet liegt.
Das Studium der „Form der Katame-Waza und ihrer Prinzipien im Kniesitz" wird allen Aikidoka ab 1. Dan empfohlen, da sie die Mitte (Hara) stärkt, den Gleichgewichtssinn fördert und ein sicheres Gefühl für die ideale Distanz sowie den rechten Zeitpunkt vermittelt.
Die oben getroffenen Feststellungen gelten insbesondere für alle ausweichenden Drehbewegungen (Tenkan), die optimal zentriert sein müssen.
Es besteht kein Zweifel daran, dass die Ausführung und Wirksamkeit aller Techniken durch wiederholtes Üben dieser Kata verbessert werden. Ihre fehlerfreie Demonstration begeistert insbesondere den Kenner, da die Prinzipien und Inhalte des Aikido klar zum Ausdruck kommen. Die sicheren und dynamischen Bewegungen im Kniesitz sind Ausfluss meisterlicher Reife.

5.4

Form der Nage-Waza sowie der Synthese ihrer Prinzipien im Stand

5.4.1

Inhalt der Kata

 

5.4.2

Beschreibung und Hinweise
Die „Form der Nage-Waza sowie der Synthese ihrer Prinzipien im Stand" umfasst insgesamt 7 für das Aikido repräsentative Standtechniken (Nage-Waza), die - immer beidseitig - zunächst im Prinzip „Irimi", dann im Prinzip „Tenkan" und abschließend in der Synthese beider Prinzipien demonstriert werden müssen. Unter dem Begriff der Synthese ist in dieser Form ein „ausweichender Eingang" (Tenkan) und nach dem flüssigen Wechsel eine positive Endausführung (Irimi-Waza) zu verstehen.
Im Sinne der „Erinnerung an die Wurzeln" ist in der ersten Gruppe ein wichtiges Element der Grundschule vorzuführen, nämlich Katate-tori Kokyu-ho (in den unterschiedlichen Varianten auch Irimi-ho oder Tenkan-ho genannt). Diese „Vorübung" zur Vermittlung des inneren Einganges (Irimi) und äußeren Ausweichens (Tenkan) ist eine wesentliche Grundlage zur Erkennung, Verinnerlichung und automatisierten Anwendung der fundamentalen Aikido-Prinzipien in allen Stand- und Bodentechniken. Sie war in den „frühen Jahren" ein Bestandteil der Prüfung zum 6. Kyu-Aikido (weißer Gürtel).
Folgerichtig endet die Form mit dem Tenchi-Nage (Himmel- und Erdewurf), einer Standtechnik, die dadurch charakterisiert werden kann, dass der Verteidiger (Nage) mit seinem stabilen Zentrum (Hara) den Himmel (Yang) und die Erde (Yin) bzw. die beiden Prinzipien Irimi und Tenkan verbindet. Dies symbolisiert, dass sich die fundamentalen kosmischen Kräfte (Pole) nicht ausschließen, sondern im Sinne einer höheren Ordnung als Synthese ergänzen.
Die Kata wird mit einem Gruß beider Partner im Stand (Ritsu-rei) zum Joseki eröffnet. Anschließend begeben sie sich mit kurzen Übersetzschritten (Ayumi-ashi) in die Ausgangsposition, verbeugen sich zueinander und nehmen die Grundstellung (Ai-hanmi) ein.
Nach Beendigung ihres Vortrages verbeugen sich beide Partner zueinander, begeben sich dann mit kurzen Übersetzschritten (Ayumi-ashi) wieder zum Anfangspunkt und grüßen abschließend gemeinsam zum Joseki.

5.4.3

Bedeutung der Kata
Der Anwärter auf den vierten Meistergrad befindet sich in der Regel mindestens 12 Jahre auf dem Weg des Aiki. In dieser Zeit hat er die grundlegenden Stand- und Bodentechniken studiert, ihre Anwendung gegen Angriffe mit dem Stab (Bo) und Messer (Tanto) erforscht und sich im freien Angreifen (Jiyu-Waza) eines bzw. zweier Partner(s) geübt. Gleichzeitig wurden die bei der Prüfung zum ersten und zweiten Dan vorgeschriebenen „Formen der Katame-Waza und ihrer Prinzipien im Stand und im Kniesitz" vertieft.
Bei diesem wegen des zunehmenden Lehr- und Prüfungsstoffes oft zielorientierten Strebens werden im Training manchmal die Standtechniken (Nage-Waza) vernachlässigt. Dies hätte fatale Folgen für die Gesamtentwicklung des Aikidoka in technischer und persönlicher Hinsicht, weil das „Fundament" schon bald »bröckeln« würde.
Es war folglich nützlich und geboten, alle Anwärter auf den vierten Meistergrad in dem wichtigen Prüfungsfach „Aiki-no-Kata" an die Bedeutung der Basis zu erinnern und sie zu zwingen, repräsentative Standtechniken (Nage-Waza) bei klarer Abgrenzung der Prinzipien auf hohem Niveau zu üben.
Da die „Form der Nage-Waza sowie der Synthese ihrer Prinzipien im Stand" wegen ihres technischen Inhaltes und ihrer symbolischen Aussage sehr anspruchsvoll ist, kann sie den an einen dritten Dan zu stellenden Anforderungen nur dann genügen, wenn sie von den Vorführenden in einem hohen Maße verinnerlicht wurde. Dies bedingt ein mehrjähriges, ausdauerndes und konzentriertes Studium.

5.5

Form der Nage- und Katame-Waza zur Abwehr bewaffneter Angreifer (Form der Evolution des Aikidoka)

5.5.1

Inhalt der Kata

 

5.5.2

Beschreibung und Hinweise
Die „Form der Nage- und Katame-Waza zur Abwehr bewaffneter Angreifer" enthält vier in sich abgeschlossene Gruppen mit je fünf Techniken, die auf der Linie mit Öffnung zum Joseki (Ehrenplatz / Prüfertisch) in positiver (Irimi) bzw. negativer (Tenkan) Form ausgeführt werden. Die benötigten Waffen (Bo, Tanto und Katana) sind vom Angreifer (Uke) zu Beginn der Kata vor dem Joseki abzulegen.
Die Kata wird mit einem Gruß beider Partner im Stand (Ritsu-rei) zum Joseki eröffnet. Anschließend begeben sie sich mit kurzen Übersetzschritten (Ayumi-ashi) in die Ausgangsposition, verbeugen sich zueinander und nehmen die Grundstellung (Ai-hanmi) ein.
Nach Beendigung der ersten bis dritten Gruppe verbeugen sich Nage und Uke zueinander im Stand. Anschließend begibt sich Nage in den Kniesitz (Za-ho), während Uke zum Joseki geht, abkniet (ggf. die verwendete Waffe ablegt) und mit der benötigten Waffe wieder aufsteht. Nach Erreichen der Ausgangsstellung erhebt sich Nage und die nächste Gruppe beginnt mit einem Gruß (Ritsu-rei) beider Partner im Stand.
Nach Beendigung der vierten Gruppe und der damit verbundenen Entwaffnung behält Nage das Schwert (Katana), während beide Partner sich zueinander verbeugen. Dann kehren sie mit kurzen Übersetzschritten (Ayumi-ashi) wieder zum Anfangspunkt zurück und grüßen gemeinsam zum Joseki.
Uke muss alle Angriffe mit den Waffen fachgerecht und in korrekter Distanz ausführen. Die Abwehrtechniken sollen durch verzugsfreies und angepasstes Sabaki eingeleitet werden; sie müssen geschmeidig und doch zwingend sein.
Jede Technik ist mit der Entwaffnung des Angreifers abzuschließen. Die Übergabe der Waffe muss so erfolgen, dass Uke den nächsten Angriff ohne Umfassen ausführen kann. Nach erfolgter Übergabe vergrößert Nage die Distanz (Ma-ai) durch einen angemessenen Gleitschritt nach hinten (Tsugi-ashi) und geht sofort wieder in Kamae.

5.5.3

Bedeutung der Kata
Wahl und Anordnung der Gruppen und Techniken dieser Kata zeigen die Einheit in der Vielfalt auf und machen somit die Universalität des Aikido deutlich.
Die Kata ist aber auch symbolhafte Darstellung des Weges aller Aikidoka im technischen Bereich, da ihre Gruppen den Ausbildungsschwerpunkten des ersten bis vierten Dan-Grades („leere Hand", Stab, Messer und Schwert) entsprechen. Sie stellt hohe Anforderungen an die Ausübenden und sollte nicht vor dem Erreichen des zweiten Dan vermittelt bzw. praktiziert werden.
Die effektive Anwendung von Aikido-Techniken gegen Angriffe mit Waffen ist nur möglich, wenn Nage die Grundschule gut beherrscht und ständig verbessert. Die wechselnden Distanzen (Ma-ai) erfordern ein hohes Maß an Flexibilität. Die Gefährlichkeit der Angriffe, die unterschiedlichen Formen der Bewegung (Sabaki) und die komplizierten verbindenden Elemente bedingen eine latente Konzentration.
Körperhaltung, Bewegung und Technik sind Ausdrucksmittel für Nage, um seine geistige Kraft (Ki) sichtbar zu machen. Nur wenn er sich seelisch und körperlich in der rechten Mitte befindet, wird er jene innere Gelassenheit und äußere Bereitschaft erkennen lassen, die den ranghohen Meister auszeichnet.
Die von Uke im gefährlichen Angriff demonstrierte böse Entschlossenheit und das souveräne Handeln des unbewaffneten Verteidigers machen die Aufhebung der Gegensätze und damit ein fundamentales Prinzip des Aikido deutlich.
Die Form der Abwehr bewaffneter Angreifer wird auch von Laien begeistert aufgenommen. Sie ist daher ein hervorragendes Werbemittel für Aikido.
Trotz der scheinbar spektakulären Inhalte handelt es sich jedoch um eine stille Form, die von den Ausübenden ein hohes Maß an Hingabebereitschaft und Selbstlosigkeit verlangt.
Gerade in dieser Kata drückt sich die Meisterschaft in der Liebe zum Detail aus; die einfachen Techniken sind Ausdruck der positiven Einstellung zum Aikido und seinen universalen Prinzipien.
Wer diese Kata pflegt, dient dem Aikido und findet sich selbst in hohem Maße gefördert.

5.6

Jo-Kata - Form der Koordination
Bei dieser Kata wird ein Stab als Waffe für den Angriff und zur Verteidigung in schneller Folge und in verschiedenen Ebenen um die Körperachse geführt. Da sich der Ausführende gleichzeitig bewegt, beschreibt die Spitze des Stabes (der Lanze) neben den Stößen verwickelte Kreis- und Spiralbewegungen.
Die Jo-Kata wurde nicht in das Prüfungsprogramm für Aikido-Dan-Grade des Aikido-Verband Deutschland e.V. aufgenommen, da sie eine Reihe von Angriffstechniken beinhaltet, die dem Wesen des Aikido widersprechen.
Es kann jedoch festgestellt werden, dass die Kata alle im Aikido bedeutenden Formen der Bewegung (Sabaki) enthält und sowohl die Tegatana (Schwerthand) als auch das Hara (Körperzentrum) ausbildet und koordiniert. Die Kata kann aus diesem Grunde durchaus von Nutzen für die Entwicklung fortgeschrittener Aikidoka sein.
Es ist jedoch wichtig, dass der Praktikant die Kata nur als körperliche Übung betrachtet und insbesondere bei den Angriffstechniken auf eine entsprechende geistige Vorstellung (Zuwendung) verzichtet, da sonst eine kämpferische Gesinnung entsteht und Aggressionen gefördert werden können.
Dies würde den betroffenen Aikidoka nicht nur in seiner weiteren Entwicklung hemmen, sondern unter Umständen auch den Erfolg einer vieljährigen Arbeit zunichte machen.
Praktiziert er die Form aber bewusst als eine Folge von körperlich vollzogenen Techniken, vermag sie zwar die Fertigkeiten, nicht aber seinen Weg im (Do) im Sinne des Aiki zu fördern. Insofern sollte man auch nicht von einer Kata im Sinne dieses Lehrbriefes sprechen.

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6

Beurteilung der Kata

6.1

Allgemeines
Die Beurteilung des technischen Inhaltes einer Kata bereitet in der Regel keine Schwierigkeiten, wenn die Prüfer dem Vortrag aufmerksam folgen und über gediegene Kenntnisse sowie Erfahrungen verfügen.
Schwieriger ist allerdings die Bewertung des Ausdruckes, da hier subjektive Beurteilungskriterien einfließen, die zum Teil - wie könnte es auch anders sein - Geschmacksache sind. Über Geschmack sollte man bekanntlich aber nicht streiten.
Trotz dieser Feststellung lehrt die Erfahrung, dass es unter autorisierten Fachleuten nur innerhalb vertretbarer Toleranzen zu differenzierten Bewertungen kommt und dies auch nur im Bereich der mittleren Note. Über gute oder mangelhafte Leistungen hat es bisher noch nie eine voneinander abweichende Auffassung gegeben.
Der Einsatz von drei Prüfern garantiert daneben den Ausgleich, wenn einmal Unterschiede auftreten sollten.
Diese Tatsache mag alle Aikidoka beruhigen, die sich einem Prüfungsverfahren unterwerfen. So zeigen sich die von nicht ausreichenden Noten betroffenen Prüflinge meist auch einsichtig, zumal gerade bei Prüfungen eine Möglichkeit des direkten Vergleiches gegeben ist. Ausnahmen bestätigen allerdings auch hier die Regel.

6.2

Beurteilungskriterien
Dieses Thema wurde unter "Grundsätze und Schwerpunkte" bereits ausführlich behandelt, so dass an dieser Stelle eine Zusammenfassung der wichtigsten Beurteilungskriterien ausreicht.
Bei Demonstration einer Kata als Prüfungsaufgabe sind insbesondere zu beurteilen:
Beherrschung aller vorgeschriebenen Elemente und Techniken in der klassischen Ausführung sowie unter Beachtung der festgelegten Form;
Abgrenzung und Darstellung der bedeutenden Prinzipien des Aikido (Irimi und Tenkan);
Aufhebung der Gegensätze von Angriff und Verteidigung durch Harmonie zwischen Uke und Nage;
Ausstrahlung durch dynamische aber gewaltlose Aikido-Techniken (körperlich) sowie innere Gelassenheit und Emotionslosigkeit (geistig);
Effektivität der Angriffs- und Verteidigungstechniken unter dem Aspekt der Selbstverteidigung;
Rhythmus und Ausdruck der Kata sowie "Timing" bei Ausführung der Techniken.

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7

Gedanken zur Kata

 

Der bedeutende Aikido-Meister, mein verehrter langjähriger Lehrer, Meister André Nocquet, 8. Dan Aikido, direkter Schüler des Aikido-Begründers O Sensei Morihei Ueshiba, Präsident und Technischer Direktor der Europäischen Aikido-Union, hat 1976 anlässlich eines internationalen Aikido-Lehrganges in Autrans/Frankreich grundsätzliche Ausführungen zur Kata gemacht, die wegen ihres Wertes an dieser Stelle wiederholt werden:
"Die wahre Bedeutung der Aikido-Kata kann weder durch Worte noch durch Lehrbücher ausgedrückt werden.
Die wesentlichen Inhalte dieser Disziplin werden nur durch körperliche Übung aufgenommen.
Kata ist eine Kunst der Konzentration, um im Augenblick der Tat bereit zu sein.
Die Kata ermöglicht einen Blick auf das eigene Ich, führt zur Bewusstseinserweiterung und Selbstbefreiung.
Der Kata-Unterricht war fruchtbar für den Ausübenden, wenn er sich nach Beendigung der Übungsstunden vollkommen entspannt fühlt.
Nur wenn die Ausübenden sich im Einklang mit ihrer Atmung und dem Partner befinden und beide ihr Ego aufgeben, lässt sich die notwendige harmonische Einheit realisieren.
Wenn beide Partner zur Zusammenarbeit bereit sind, befindet sich ihr Geist im Zustand eines tiefen Friedens. Durch ständige Wiederholung der Formen werden die Inhalte der Kata sicherer Besitz des Unterbewussten. Dadurch wird die bei Ausübung der Kata freigestellte physische Energie vergeistigt und lässt andere Menschen am Geschehen teilhaben.
Kata ausüben bedeutet, den eigenen Ursprung zu entdecken. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die Formen mit Hingabe und in Ruhe geübt werden.
Die Inhalte der Kata können nicht durch theoretische Überlegungen, sondern nur durch wiederholtes körperliches Üben ergründet werden. Dabei ist die Hilfe und Anleitung eines selbstlosen Lehrers von Nutzen. Lassen Sie daher die Lehrbücher und die Erklärungen zur Seite und entdecken Sie den schöpferischen Geist, der Liebe ist. Nur bei vollkommener Haltung kann die Stärke des Unterbewusstseins nutzbar gemacht werden.
Das Ki muss vom Hara aus fließen, nicht aus den Schultern.
Setzen Sie bei Ausführung der Techniken nicht ihre körperliche Kraft ein, sondern lassen Sie die Energie mit derjenigen ihres Partners in Übereinstimmung gelangen.
Vergessen Sie Ihr Ego, damit aus den zwei Energiequellen gleicher Art eine totale Kraft der Einheit in der allumfassenden Ordnung des Friedens und als Quelle der Freude entwickelt wird."

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8

Zusammenfassung

 

Die Satzung des Aikido-Verband Deutschland e.V. ist Ausdruck des Mehrheitswillens seiner Anschlussorganisationen und deren Mitglieder. Danach ist es unter anderem Zweck dieses Fachverbandes, die Lehre und Techniken des von O Sensei Morihei Ueshiba geschaffenen und damit klassischen Aikido zu erhalten und zu fördern.
Aikido wird von Menschen praktiziert und durch sie interpretiert; es ist daher eine lebendige Kunst. Menschen können irren, auch wenn sie im guten Glauben handeln. Eine Abweichung vom wahren Weg (Do) des Aiki wäre die Folge.
Aus diesem Grunde kann es über die Bedeutung der Aiki-no-Kata keine geteilten Ansichten geben. Ihre Erforschung ist aber auch für alle Ausübenden von großem Nutzen und Ausdruck ihrer freiwilligen Bindung an das klassische Aikido und seinen Begründer. Indem sie sich mit den Elementen, Techniken und Prinzipien der Kata identifizieren, erhalten die Aikidoka einen tiefen Einblick in das Wesen des harmonischen Weges. Dies führt zur Selbstfindung und Bewusstseinserweiterung, letztlich vielleicht auch zum Satori.
Ich hoffe, dass dieser Lehrbrief für alle Aikidoka von Nutzen ist.
Bedenken Sie immer: Die Form symbolisiert den Anfang und das Ende des Weges!

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9

Historie der Aiki-no-Kata

 

Die Entwicklung der in diesem Lehrbrief behandelten Aiki-no-Kata hat eine vieljährige Geschichte. Die Historie wurde wegen ihres Umfanges und ihrer Bedeutung daher in einem besonderen Aufsatz behandelt.

Interessenten an diesem wichtigen Kapitel der Entwicklung des klassischen Aikido in der Bundesrepublik Deutschland finden den Aufsatz unter diesem Link.

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© Rolf Brand, 8. Dan Aikido
Alle Rechte, auch das der Übersetzung, ausdrücklich vorbehalten.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verfassers gestattet.

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